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Restrukturierung - ein vielfältiges Betätigungsfeld

Ein Beitrag von Prof. Dr. Christoph G. Paulus, Professor für Insolvenzrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin

Nicht erst seit der aktuellen großen Wirtschaftskrise stellt das Insolvenz- und Restrukturierungsrecht ein spannendes Rechtsgebiet für Juristen dar. Gerade die Restrukturierung ist dabei eine Schnittstelle vieler rechts- und wirtschaftswissenschaftlicher Bereiche, so dass sich für Juristen ein breites und vielfältiges Aufgabenfeld bietet.

Vor dem Hintergrund einer bis tief in die Antike zurückreichenden Tradition führte der Konkurs unweigerlich zur Verscherbelung des schuldnerischen Vermögens in einem streng durchreglementierten Verfahren. Diese Form, die Liquidation, war und ist natürlich teuer bzw. verlustreich. Außerdem rührte von diesem Automatismus der Makel her, der mit einem Konkurs einherging. Zudem wurde über Jahrhunderte der Bankrotteur getötet oder doch sozial ausgegrenzt, wenn er nicht von sich aus die Flucht ergriff oder gar Selbstmord beging.

Ein neues wirtschaftliches Umfeld

Die Kosten, wie die negativen Implikationen erweisen sich freilich, wirtschaftlich (und nicht nur wirtschaftlich) betrachtet, als kontraproduktiv. Das gilt insbesondere für eine Wirtschaft wie die heutige, in den Vermögensgüter, wie Knowhow, Goodwill, Charisma, Kundenbindung etc. - Vermögenswerte also, die sich durch ihre enge Ausrichtung an der betreffenden Person auszeichnen - eine zunehmend größere Bedeutung gegenüber den traditionellen Vermögensgütern, Mobilien, Immobilien und Forderungen erlangen. Letztere kann man nämlich recht problemlos auf dem Markt zu Geld machen; schließlich ist eine Liquidation nichts anderes als der möglichst schleunige (und damit den Preis drückende) Verkauf des schuldnerischen Vermögens im allgemeinen Marktgeschehen. Wenn aber jene neueren Vermögenswerte überhand nehmen, eskaliert die Liquidation (jenseits der sog. übertragenden Sanierung) zu einer noch größeren Wertevernichtung: Denn der Markt wird vermutlich nicht allzu viel für das Knowhow oder das Charisma einer Person zu zahlen bereit sein, wenn diese Person nicht freiwillig und aus eigenem Antrieb diese ihre Fähigkeiten einzusetzen bereit ist.

Der Versuch eines Wandels

Es ist daher nicht wirklich verwunderlich, dass der deutsche Gesetzgeber ausländischen Vorbildern folgte und mit dem sog. Planverfahren der §§ 217 ff. InsO dem klassischen Konkursrecht und damit der nach wie vor möglichen Insolvenzliquidation eine neue Option an die Seite stellte - die Reorganisation. Dabei geht es um einen Plan, den beispielsweise der Schuldner vorlegt. In ihm legt er minutiös dar, wie er sich seine Reorganisation vorstellt und welche Beiträge er selbst, seine Gläubiger und wer sonst noch dazu leisten sollen. Der Versuchung, diesen Plan allzu egoistisch auszugestalten, sollte er dabei freilich widerstehen. Denn der Plan wird natürlich nur dann realisiert werden, wenn die Gläubiger ihm zustimmen. Also muss er ihnen seinen Plan und die darin enthaltenen bitteren Pillen so verkaufen, dass sie ihn annehmen können - etwa durch Inkaufnahme erheblicher eigener Einbußen. Um die Details gibt es natürlich gegebenenfalls heftige Diskussionen. Scheitern sie, geht es ab in die Liquidation, d.h. die Zerschlagung. Wird der Plan dagegen von den Gläubigern akzeptiert und segnet das Insolvenzgericht ihn als den Formalien genügend ab, kann die avisierte Reorganisation unmittelbar in Angriff genommen werden.

Politiker, die das Wort »Insolvenz« in den Mund nehmen

Mit dieser Erweiterung der Optionen ging eine Änderung des Namens einher: Statt »Konkurs« (lat.: concurrere - in ihm laufen alle Gläubiger zusammen) nunmehr »Insolvenz« (also die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners). Mit dem neuen Begriff sollte der neue »spirit« der Insolvenzordnung einhergehen, die ja nicht mehr ausschließlich aufs Kaputtmachen aus war, sondern - ganz offiziell - die Möglichkeit zum Neuanfang eröffnete, zum »Turnaround«. So nett das gemeint war - der Versuch schlug fehl. Das muss man heute, gut 15 Jahre nach der Einführung dieser Neuerung, wohl in dieser Schärfe sagen. Es gibt keinen treffenderen Beleg für die Richtigkeit dieser Feststellung als die öffentlichen Diskussionen auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahre 2009. Sobald ein Politiker im Kontext etwa von den in den Medien allseits ausgewälzten Problemen bei Opel, Quelle oder sonst einem Unternehmen das Wort »Insolvenzverfahren« in den Mund nahm, hagelte es Schelte von allen Seiten. Und auch die verschiedenen Rettungsgesetze, wie etwa das Finanzmarktstabilisierungsgesetz und seine Ergänzungen, mieden dieses Wort.

Die Vernunft der zugrunde liegenden Idee

Natürlich können diese Empfindlichkeiten, die ihren wesentlichen Ursprung im oben angesprochenen sozialen Makel haben - also eine Art kollektives Vorurteil bilden - nichts daran ändern, dass Ausgangspunkt wie Konzept dieser neuen Option höchst vernünftig sind. Denn, wie so oft im Leben, kann auch hier das Scheitern, die Insolvenz oder (allgemeiner) die Krise, die Option zu einem Neuanfang bieten. Man muss dieser Chance dann allerdings auch wirklich eine Chance geben. Im Falle von wirtschaftenden Unternehmen lehrt die Erfahrung, dass die Erfolgsaussichten umso größer sind, je früher man die Chance wahrzunehmen beginnt. Dann sind nämlich beispielsweise die Kunden noch nicht so richtig verschreckt, Zahlungsunfähigkeit ist noch nicht eingetreten, der letzte Kredit ist noch nicht verspielt etc. Aus diesem Grund hat übrigens die Insolvenzordnung eine weitere kluge Innovation gebracht - nämlich die Ermöglichung eines Insolvenzverfahrens bereits dann, wenn die Zahlungsunfähigkeit noch gar nicht eingetreten ist, sie vielmehr erst drohend am Horizont auftaucht.

Das weite Feld des modernen Insolvenzrechts

Diese Regelung zeigt übrigens, dass es gegenüber dem, was weiter oben als »klassisches Konkursrecht« bezeichnet wurde, heute so etwas wie ein modernes Insolvenzrecht gibt. Dessen Eigenheit besteht zum einen darin, dass es eben zusätzlich zur Zerschlagungs- die Reorganisationsoption anbietet, zum anderen aber auch darin, dass es in zeitlicher Hinsicht schon wesentlich früher ansetzt als es das alte Konkursrecht vorsah und zuließ. Mit der Neuerung einer Verfahrenseröffnung bereits wegen drohender Zahlungsunfähigkeit schafft also das moderne Insolvenzrecht Beachtung und Berücksichtigung schon zu einer Zeit, in der bislang allein die Gesellschaftsrechtler mit ihren diversen Krisenbewältigungsmechanismen »zuständig « gewesen sind. Diese neuartige Überlappung von Gesellschafts- und Insolvenzrecht firmiert vielfach unter dem Begriff »Restrukturierungsrecht« - alternativ Sanierungs- oder auch Turnaroundrecht. In ihm geht es um die rechtliche Seite der Rettung eines Unternehmens - sei es innerhalb eines Insolvenzverfahrens, sei es außerhalb.

»Diese neuartige Überlappung von Gesellschafts- und Insolvenzrecht firmiert vielfach unter dem Begriff Restrukturierungsrecht«

Durch diese »Ausweitung der Kampfzone« erkennt man jetzt sehr deutlich einen durchgängigen Faden von Warnsignalen und Rettungsangeboten, die sich kontinuierlich steigern. Was bei § 49 III GmbHG etwa mit der schlichten Pflicht zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung beginnt, geht hin bis zur Pflicht des § 15a InsO, einen Insolvenzantrag zu stellen. Dazwischen gibt es eine Unmenge weiterer Weichenstellungen, Pflichten und Gestaltungsmöglichkeiten auf dem Weg zur Restrukturierung, die naturgemäß längst nicht ausschließlich rechtlicher Natur sind. Geht es doch bei der Chance für die Kehrtwende bzw. den Neuanfang nicht nur darum, den rechtlichen Geboten Folge zu leisten, sondern auch - und ganz besonders - darum, sich auch weiterhin wirtschaftlich behaupten und wieder konkurrenzfähig werden zu können. Da ist mit anderen Worten viel betriebs-, gegebenenfalls auch volkswirtschaftliches Wissen erforderlich. Denn schließlich müssen regelmäßig ein ganzes Bündel von leistungswirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Maßnahmen getroffen werden, um den »Kahn wieder flott zu machen«. Aber selbst dann, wenn man sich auf den rechtlichen Bereich beschränkt, ist die Weite immer noch beeindruckend. So zählen neben Gesellschafts- und Insolvenzrecht selbstverständlich etwa das Kreditsicherungsrecht, das Steuerrecht, das Sozialrecht, das Strafrecht, das gesamte zivilrechtliche Vermögensrecht und das Arbeitsrecht hierher; das sind gewissermaßen die Klassiker. Es gehört aber beispielsweise auch das Kapitalmarktrecht dazu, wenn - was sich zunehmender Beliebtheit selbst bei kleineren, mittelständischen Firmen erfreut - das Unternehmen sich im Wege einer Anleihe Geld direkt auf dem Kapitalmarkt verschafft und dann in der Krise mit einem Vertragswerk zu kämpfen hat, das etwa das Recht von New York für anwendbar erklärt, dieses aber seinerseits mit seinen ausgeklügelten Klauseln bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Gleichfalls gehört hierher die Corporate Governance, die sich teilweise auf dem Hybridgelände des soft law bewegt, gleichwohl aber ganz massiven Druck darauf ausübt, dass die Krise nur ja nicht eintritt und dass sie, wenn sie eingetreten ist, nur ja schnellstmöglich wieder verlassen wird. Das moderne Insolvenzrecht hat aber in zunehmendem Maße mit Fragen des Rechts des unlauteren Wettbewerbs, des Beihilferechts, des Kartellrechts, des Übernahmerechts oder auch des Vergaberechts zu tun. All das muss freilich noch praktisch wie theoretisch ausgelotet werden.

Die richtige strategische Entscheidung

Kurzum, es handelt sich beim Restrukturierungsrecht um eine Querschnittsmaterie, die sich über die eigenen Fachgrenzen hinaus mit einer Vielzahl von weiteren Gebieten vernetzen muss. Allein schon die rechtliche Seite nötigt in jedem einzelnen Fall zu einer Fülle von Abwägungen und Entscheidungen. Das fängt neuerdings sogar schon bei der Frage an, in welchem Land bzw. unter welcher Rechtsordnung man die Reorganisation durchführen will. Als Folge der berühmten EuGH-Entscheidungen Centros, Überseering und Inspire Art wird nämlich die damit herbeigeführte Freizügigkeit auch für Sanierungsüberlegungen nutzbar gemacht. Zieht man dann noch den Regelungsmechanismus der Europäischen Insolvenzverordnung in die Betrachtung mit ein, kommt man zu demjenigen Phänomen, das man heute als »Migration« bezeichnet. Damit sind diejenigen tatsächlich geschehenen Fälle gemeint, in denen juristische (genauso wie natürliche) Personen einen Insolvenztourismus betreiben, um sich die Vorzüge anderer Insolvenzrechte zunutze machen zu können. Als Folge dieses »Forum Shopping« hat sich unter den europäischen Gesetzgebern zwischenzeitlich sogar so etwas wie ein Angebotsmarkt entwickelt, in dem jeder seine Auslage so attraktiv wie möglich auszugestalten bemüht ist.

»Dem Nachteil der Publizität stehen die vielen Vorteile gegenüber, die ein eröffnetes Insolvenzverfahren zu bieten hat.«

Entscheidet sich das Unternehmen für ein Verbleiben im Inland, ist eine der nächsten Abwägungen, ob die Restrukturierung innerhalb oder außerhalb eines Insolvenzverfahrens durchgeführt werden soll. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Dem Nachteil der Publizität stehen die vielen Vorteile gegenüber, die ein eröffnetes Insolvenzverfahren zu bieten hat: Etwa das generelle Verbot von Einzelaktionen der Gläubiger, erleichterte Kündigungsmöglichkeiten, Mehrheitsentscheidung statt Einstimmigkeitserfordernis etc. soll die Sanierung gleichwohl außerhalb eines Insolvenzverfahrens (aber natürlich immer in dessen Schatten - denn was passiert, wenn die Bemühungen scheitern?) durchgeführt werden, so gehört zu den vordringlichen Aufgaben, den Folgen eines der Eröffnungsgründe Überschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit zu entrinnen. Sobald man nämlich in dieser Sphäre ist, verbleiben einem nur mehr höchstens die berühmt-berüchtigten drei Wochen für den Insolvenzantrag des schon erwähnten § 15a InsO. Weitere Werkzeuge, die in diesem Stadium von Bedeutung sind, sind etwa die Vereinbarungen von Rangrücktritten - das gilt gegebenenfalls auch für Gesellschafterdarlehen - und die Suche nach Sanierungskrediten. Dafür benötigt man zunächst einmal ein solides, belastbares Sanierungskonzept, aber auch neue bzw. weitere Sicherheiten; erfahrungsgemäß stehen die bei einem kriselnden Unternehmen nicht auf Abruf bereit. Des Weiteren muss sich das Unternehmen eventuell Gedanken über Maßnahmen in Bezug auf sein Eigenkapital (z. B. einen sog. Kapitalschnitt: Kapitalherabsetzung mit anschließender -erhöhung) machen und Überlegungen zu einem eventuellen Debt-Equity-Swap anstellen. Dabei dreht es sich um die Frage, ob bzw. wie die Gläubiger in die Gesellschaft einbezogen werden können, indem ihre bisherigen Forderungen nunmehr in Gesellschaftsbeteiligungen umgewandelt werden.

»Das Restrukturierungsrecht wird nicht mit dem »Schmuddelimage « des Insolvenzrechts als juristischer Leichenbestatterei in Verbindung gebracht.«

Dieser in § 225a InsO vorgesehene Debt- Equity-Swap soll die Attraktivität des oben schon erwähnten Planverfahrens der §§ 217 ff. InsO erhöhen. Dieses Instrument erleichtert die Sanierungsbemühungen insoweit, als die ebenfalls schon erwähnte Zustimmung der Gläubiger bereits dann als erteilt gilt, wenn eine qualifizierte, u. U. sogar auch die einfache Mehrheit dem Plan zugestimmt hat. Hier kann man also durchaus schmerzhaftere Eingriffe realisieren, als dies in einer außergerichtlichen Sanierung der Fall wäre.

Ein facettenreiches, spannendes Terrain

Man kann also ohne Übertreibung sagen, dass das Restrukturierungsrecht in vielerlei Hinsicht reizvoll ist. Nicht nur, dass es nicht mit dem »Schmuddel-Image« des Insolvenzrechts als juristischer Leichenbestatterei in Verbindung gebracht wird (diese Negativeinschätzung ist de facto vollkommen unberechtigt: Haben doch Liquidationen den eminent wichtigen Effekt, den Markt zu bereinigen und ihn damit überhaupt erst funktionstüchtig zu erhalten); es führt auch eine riesige Anzahl von Rechtsgebieten zu einer einheitlichen Komposition zusammen, die demgemäß einen virtuosen Umgang mit eben diesen Materien voraussetzt. Dabei sind Vorwissen, Vorstellungskraft und Phantasie, Menschenkenntnis, Wirtschaftskenntnis und Teamfähigkeit nur Teile eines umfassenden Anforderungsprofils. Wo findet man spannendere Start- und Arbeitsbedingungen?
Rechtswissenschaft - Prof. Dr. Christoph G. Paulus

Kurzvita

Prof. Dr. Christoph G. Paulus ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Insolvenzrecht, sowie Römisches Recht an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist als insolvenzrechtlicher Experte, sowohl beim IWF, als auch bei der Weltbank als Berater tätig gewesen, er hat an den Beratungen von UNCITRAL zum Konzerninsolvenzrecht teilgenommen und hat Gastprofessuren in aller Welt innegehabt.
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